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Herztod durch Cannabis
Oder: Eine Antwort auf die Frage, warum Cannabiskonsum so gefährlich ist wie Sex
Ende Februar 2014 griffen viele Medien einen Bericht über zwei Fallberichte zu Todesfällen nach Cannabiskonsum auf. Die beiden Fälle erschienen unter dem Titel "Plötzlicher unerwarteter Tod unter dem akuten Einfluss von Cannabis" in der Fachzeitschrift Forensic Science International. Die Autoren sind Wissenschaftler der Institute für Rechtsmedizin der Universitäten Düsseldorf und Frankfurt.
Das Deutsche Ärzteblatt berichtete am 24. Februar 2014 unter dem Titel "Plötzlicher Herztod durch Cannabis": "Zwei Todesfälle unter jungen gesunden Männern lassen Rechtsmediziner (…) bezweifeln, dass Cannabis eine sichere Droge ist. Einer der Männer war im Alter von 23 Jahren in einem öffentlichen Verkehrsmittel zusammengebrochen und nach 40-minütiger erfolgloser Reanimation gestorben. Der andere im Alter von 28 Jahren war zuhause Tod von seiner Freundin aufgefunden worden. Bei beiden Patienten konnten die Rechtsmediziner bei der Obduktion keine andere mögliche Ursache ermitteln, als die zum Zeitpunkt des Todes erhöhten THC-Konzentration im Blut."
Die Wirkungen von Cannabis auf Herz und Kreislauf: eine zwiespältige Angelegenheit
Cannabis kann möglicherweise dazu beitragen, Arteriosklerose und damit Herzinfarkt und Schlaganfall vorzubeugen. Heute geht man davon aus, dass es sich bei der Arteriosklerose, also der Verkalkung und Versteifung der Arterien um eine chronische Entzündung handelt. Daher könnten die entzündungshemmenden Eigenschaften von Cannabis günstige Effekte auf die Entwicklung der Arterienverkalkung ausüben, ähnlich wie das von Acetylsalicylsäure bekannt ist. Das ist die gute Nachricht.
Andererseits ist bekannt, dass THC die Herzfrequenz steigert und den Blutdruck beeinflussen kann. Im Liegen kann der Blutdruck leicht ansteigen, im Stehen kann er abfallen, so dass gelegentlich Schwindel auftreten kann. Gesunden machen diese leichten Wirkungen auf den Kreislauf nichts aus, wer jedoch an einer Herzerkrankung leidet, sollte vorsichtig sein. Denn die Cannabiswirkungen könnten seinen Kreislauf und seine Herztätigkeit überlasten, bis zum Herzinfarkt. Bei regelmäßigem Konsum verlieren sich diese Wirkungen auf Herz und Kreislauf normalerweise, weil sich gegen diese Symptome eine Toleranz entwickelt. Es gibt nicht wenige Herzkranke, die durchaus und ohne Schaden regelmäßig Cannabis konsumieren.
Die aktuellen Berichte zum Tod durch Cannabis
Am 25. Februar 2014 erschien in der Rheinzeitung der Artikel "Cannabis erstmals als Todesursache nachgewiesen". Darin wird Dr. Benno Hartung, Rechtsmediziner an der Universität Düsseldorf, und Erstautor der Studie zitiert: "Nach unserem Wissen sind das weltweit die ersten Cannabis-Todesfälle, die komplett nach den heutigen wissenschaftlichen Standards aufgearbeitet wurden". Zu diesem Ergebnis kamen Dr. Hartung und seine Kollegen, nachdem sie THC im Blut der Toten gefunden hatten und ihrer Meinung nach alle anderen möglichen Ursachen ausgeschlossen hatten. Die Medienresonanz war auch international groß, und die meisten stießen in das gleiche Horn.
Es gab jedoch auch andere Stimmen. So titelte die ZEIT am 25. Februar: "Kiffen ist keine Todesursache". Unter anderem kommen in dem Artikel Prof. Michael Tsokos, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Berliner Charité, sowie Prof. Frank Mußhoff vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn, zu Wort. Auf die Frage der ZEIT: "Belegen die ausführlichen Obduktionsergebnisse der beiden Männer nun, dass sie am Hasch starben?" erklärte Prof. Tsokos: "Die einzelnen Befunde stützen das nicht". "Aus ihnen geht hervor, dass der 23-jährige Verstorbene schwer am Herzen vorerkrankt war. Hätte er nicht zufällig am Tag vor seinem Tod Cannabis geraucht, wäre ein Zusammenhang mit seinem Tod gar nicht hergestellt worden. [...] Fälle, in denen die Todesursache unklar ist, haben wir vereinzelt immer wieder. Cannabis als Ursache zu vermuten, ist für mich eine Verlegenheitsdiagnose." Tsokos betont: "Hier geht es um Koinzidenz [Gleichzeitigkeit] und nicht um Kausalität."
Prof. Mußhoff erklärte: "Da nach den Analysen nichts anderes mehr auftauchte, haben sich Hartung und sein Team auf Cannabis verstiegen". Er weist auch auf die niedrigen THC- und THCOOH-Werte im Blut der Toten hin. Diese sprechen gegen eine aktuelle Rauschwirkung.
Betrachtet man die vielen 1000 Todesfälle durch Medikamente und andere Drogen wird bereits der erste Satz des Artikels von Dr. Hartung und Kollegen widerlegt. Dieser lautet: "Die akute Toxizität von Cannabinoiden ist angeblich niedrig und es gibt eine geringe öffentliche Aufmerksamkeit hinsichtlich der potenziell gefährlichen kardiovaskulären Wirkungen von Cannabis, zum Beispiel eine deutliche Zunahme der Herzfrequenz oder des Blutdrucks im Liegen."
Während mehrere 1000 Tote jährlich durch Aspirin keine Schlagzeilen hervorrufen, sind vermutete zwei Tote durch Cannabis offenbar eine Schlagzeile wert.
Plötzlicher Herztod – was ist das?
Der plötzlicher Herztod beruht meistens auf Herzerkrankungen und ist durch einen plötzlichen Verlust des Bewusstseins innerhalb einer Stunde nach Beginn der akuten Symptome gekennzeichnet. Die häufigste Ursache (in etwa 80 % der Fälle) ist eine koronare Herzkrankheit, also eine Arteriosklerose der Herzkranzgefäße, die das Herz mit Blut und Sauerstoff versorgen. Der Tod tritt durch eine verminderte Blutversorgung des Herzens auf, die Rhythmusstörungen und schließlich einen Herzstillstand verursachen.
In weiteren 10-15 % der Fälle sind andere Schäden am Herzen für einen plötzlichen Herztod verantwortlich, darunter insbesondere so genannte Kardiomyopathien, also Schädigungen des Herzmuskels, wie sie auch bei einem der beschriebenen Todesfälle festgestellt wurden.
In weiteren 5-10 % der Fälle beruht der plötzlicher Herztod auf seltenen Ursachen, darunter überwiegend ein so genanntes "idiopathisches Kammerflimmern". Der Begriff "idiopathisch" bedeutet in der Medizin nichts anderes als: "Wir kennen die Ursache nicht".
Cannabis so gefährlich wie ein Spaziergang oder Sex
im Jahr 2001 war eine amerikanische Studie erschienen, in die 3882 Patienten mit einem akuten Herzinfarkt eingeschlossen worden waren. Von diesen hatten 9 innerhalb einer Stunde, bevor die Symptome begannen, Cannabis konsumiert. Cannabis erhöhte danach in dieser Studie innerhalb der ersten Stunde nach der Einnahme das Risiko für einen Infarkt um etwa das Fünffache. In der zweiten Stunde war das Risiko nur noch minimal erhöht und normalisierte sich dann schnell. Insgesamt wurden 0,2 % der Herzinfarkte auf Cannabis zurückgeführt. Professor Mittelman von der Harvard-Universität, der die Studie leitete, und seine Kollegen schrieben damals in ihrer Veröffentlichung, dass das Rauchen von Cannabis "ein seltener Auslöser eines akuten Herzinfarktes" sein könnte. Sie merkten an, dass Cannabis etwa so gefährlich sei, wie ein Spaziergang für eine aktive Person mit koronarer Herzerkrankung oder wie Sex für einen Patienten mit sitzender Lebensweise.
Der Griff in die Mottenkiste
Im aktuellen Artikel wiesen die Rechtsmediziner aus Düsseldorf und Frankfurt auf frühere vermutete Todesfälle durch Cannabis hin, von denen die meisten viele Jahre zurückliegen. So wird im Artikel ein Bericht aus dem Jahr 1971 von einem jungen französischen Soldaten erwähnt, der versucht hatte, sich durch das Rauchen großer Haschischmengen umzubringen. Er fiel 4 Tage lang in ein Koma und berichtete nach dem Aufwachen, dass andere diese Methode bereits erfolgreich versucht hätten. Aus dieser Zeit gibt es auch Warnungen vor Haschischöl, die im Zusammenhang mit einzelnen Todesfällen stehen könnten.
Diese frühen Fallberichte scheinen Teil der Cannabis-Hysterie gewesen zu sein, wie sie in den siebziger Jahren von einigen Wissenschaftlern geschürt wurde. Aus dieser Zeit stammen auch die Warnungen vor der Entwicklung weiblicher Brüste bei männlichen Cannabiskonsumenten, die sich aber nicht bewahrheiteten, Warnungen vor einer Lungenkrebs-Epidemie durch Cannabiskonsum, die aber dann doch ausblieb, und andere Szenarien, die den wissenschaftlichen Boden für den Krieg gegen die Drogen bereitet haben.
Wie Prof. Mußhoff von der Universität Bonn bereits in der ZEIT dargelegt hatte, waren die THC-Konzentrationen bei den beiden verstorbenen jungen Männern nicht besonders hoch. Bei den 28 Jahre alten Mann betrug die Konzentration nur 1,9 ng/ml (Nanogramm pro Milliliter), so dass der letzte Konsum vermutlich mehrere Stunden zurücklag und ein Zusammenhang mit seinem Tod eher unwahrscheinlich ist. Bei dem 23 Jahre alten Mann mit einer Hypertrophie des Herzmuskels, also einer krankhaften Vergrößerung des Herzmuskels, könnte Cannabis möglicherweise allerdings durchaus eine Rolle gespielt haben. Die THC-Blutkonzentration von 5,2 ng/ml und die Konzentration von THC-COOH von 12,9 ng/ml deutet darauf hin, dass es sich am ehesten um einen Gelegenheitskonsumenten handelt, der vor nicht allzu langer Zeit Cannabis konsumiert hatte. Ein Zusammenhang ist daher möglich. Sein Herz war vielleicht zu schwach.
Schutz vor Arteriosklerose durch Entzündungshemmung
Im Jahr 2010 hatte eine Arbeitsgruppe chinesischer Wissenschaftler Ergebnisse von Untersuchungen zur Frage, wie Cannabinoide vor der Arteriosklerose schützen, veröffentlicht. Danach hemmten Cannabinoide die Konzentration so genannter Adhäsionsmoleküle. Diese Moleküle sind dafür verantwortlich, dass sich Fresszellen (Makrophagen) an die innere Wand von Blutgefäßen anheften. Dies ist der erste Schritt der Arteriosklerose. Erstmals hatten Wissenschaftler der Universität Genf im Jahr 2005 darüber berichtet, dass THC bei Mäusen das Fortschreiten der Gefäßverkalkung um ein Drittel hemmte.
Die Arteriosklerose ist eine Verhärtung der Arterien, die durch Einlagerung von Fetten, Kalzium, Zellbruchstücken und faserigen Substanzen in die Gefäßwand verursacht wird. Die Verkalkung der Gefäße ist ein normaler Alterungsprozess und kann bereits meistens im Alter von 20 Jahren nachgewiesen werden. Diese Verkalkung führt jedoch meistens erst im höheren Lebensalter zu ernsthaften Konsequenzen, wie beispielsweise Schlaganfall oder Herzinfarkt, wenn die Veränderungen weit fortgeschritten sind. Durch bestimmte Faktoren kann dieser Prozess beschleunigt werden. Dazu zählen erhöhte Cholesterinwerte im Blut, Infektionen, giftige Substanzen wie beispielsweise die Verbrennungsprodukte beim Rauchen und erhöhte Zuckerwerte beim Diabetes (Zuckerkrankheit).
Beim Beginn der Arteriosklerose spielt offenbar eine Entzündung der Innenwände der Blutgefäße eine wichtige Rolle. Voraussetzung für den Beginn der Arteriosklerose ist eine Schädigung der Zellen, die die Innenwände der Blutgefäße auskleiden, der so genannten Endothelzellen. Daran haften sich mit Hilfe der obengenannten Adhäsionsmoleküle Fresszellen an. Diese Zellen wandern in die Gefäßwand, nehmen LDL-Cholesterin (das "schlechte" Cholesterin) auf, produzieren Entzündungsbotenstoffe, was zum Einstrom von Fetten und weiteren Blutzellen führt. Die ungebremste Aufnahme von Cholesterin durch die Makrophagen wandelt diese in fettreiche Schaumzellen um. Diese Schaumzellen sind der entscheidende Bestandteil der arteriosklerotischen Ablagerungen, die mit der Zeit verkalken.
Die Erforschung der entzündungshemmenden Eigenschaften von Cannabinoiden ist heute ein wichtiger Forschungsschwerpunkt. Viele Patienten mit chronischen Entzündungen verwenden Cannabis.
Fazit
Bisherige Langzeitstudien zeigen, dass Cannabiskonsumenten vermutlich etwa so lange leben wie Personen, die keinen Cannabis konsumieren. Bei Alkoholikern und Tabakrauchern ist das anders entweder die Verwendung von im Mittel etwa. Möglicherweise zögert Cannabis aufgrund seiner entzündungshemmenden Eigenschaften die Entwicklung einer Gefäßverkalkung (Arteriosklerose) etwas hinaus. Andererseits könnte Cannabis, wenn bereits eine Herzerkrankung vorliegt, in seltenen Fällen einen Herzinfarkt oder einen plötzlichen Herztod verursachen. Wer also bereits bei einem Spaziergang Herzprobleme bekommt, sollte mit Cannabis vorsichtig umgehen oder ganz die Finger davon lassen. Die aktuelle Studie hat andererseits noch einmal unterstrichen, was für eine besondere Substanz Cannabis auch hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung ist.
Hätten sich diese beiden ersten Todesfälle auf andere Medikamente oder Drogen bezogen, die – wie Cannabis – seit Jahrzehnten von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt verwendet werden, so wäre dies wahrscheinlich ein Beweis für ihre extreme Sicherheit gewertet worden.
Dr. med. Franjo Grotenhermen
Dieser Artikel stammt aus der grow! Ausgabe 3-2014. Wir veröffentlichen hier aus jeder neuen Ausgabe unseres Print-Magazins vier vollständige Artikel - erst als Leseproben, acht Wochen später als vollständige Texte, gratis für alle. Falls du diese Ausgabe nachbestellen möchtest, schau doch mal in unseren Shop.
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